Beim Online-Forum in der Reihe „Kultur im Wandel“ erhielten die Teilnehmenden umfassende Informationen zum Thema Kirchenaustritt.
Das Thema Kirchenaustritt stand im Mittelpunkt des jüngsten Online-Forums in der Reihe „Kultur im Wandel“. In der vom Bildungs- und Tagungshaus Liborianum am 18. März angebotenen Veranstaltung ging es unter anderem um die Fragen, wie ein guter Umgang mit Austrittswilligen und Ausgetretenen aussehen könnte und wie ein Dialog mit ihnen möglich sei. Referentin des Abends war Ruth Nefiodow von der Projektstelle „Dialog mit Ausgetretenen und Austrittswilligen“, die an das Labor E im Erzbischöflichen Generalvikariat angegliedert ist.
Ruth Nefiodow näherte sich dem Thema, indem sie zunächst einen konkreten Blick auf die Menschen warf, die sich entschieden haben, aus der Kirche auszutreten oder kurz vor dieser Entscheidung stehen. Wer sind die Ausgetretenen und was hat sie zu diesem Schritt bewogen?
Warum treten Menschen aus der Kirche aus?
Die Gründe, warum sich jemand entscheide, aus der Kirche auszutreten, seien unterschiedlich, so die Ansprechpartnerin für den Dialog mit Ausgetretenen und Austrittswilligen. Natürlich habe das Bekanntwerden des Missbrauchsskandals Anfang der 2010er Jahre zu einer enormen Austrittswelle geführt, jedoch müsse man genauer hinschauen, um zu erklären, warum sich jemand entscheiden würde, seiner Kirche den Rücken zu kehren.
Im Rahmen ihrer Präsentation stellt Ruth Nefiodow einige der wesentlichen Gründe vor. „Man muss hier unterscheiden zwischen Gründen, die innerhalb der Kirche zu finden sind, wie eben die zahlreichen Missbrauchsfälle und der Umgang der Kirchen damit mancherorts“, erklärt sie. Es gebe aber auch Gründe, auf die Kirche primär keinen Einfluss habe. Die Einführung des Solidaritätszuschlags Anfang der 90er Jahre sei so ein Grund. Eine Vielzahl von Menschen habe sich damals zum Austritt entschieden, um keine Kirchensteuer mehr zahlen zu müssen, da sie nun an anderer Stelle Abgaben zu leisten hatten. Auf eine solche Entscheidung habe die Kirche keinen Einfluss und trotzdem habe sie zu einer hohen Austrittswelle geführt.
Neben den bereits dargestellten Gründen markiere auch der Eintritt ins Berufsleben einen Punkt, an dem sich viele junge Menschen entscheiden würden, aus der Kirche auszutreten. „Man muss sich nun erstmals mit einem eigenen Einkommen auseinandersetzen. Auch hier entscheiden sich Leute aus finanziellen Gründen zum Austritt, um keine Steuer mehr für eine Kirche zahlen zu müssen, mit der sie nicht zu tun haben“, erläuterte Ruth Nefiodow. Im Hinblick auf die Statistik lasse sich aber sagen, dass sich die Zahlen mit zunehmendem Alter verringerten. Je älter man werde, umso seltener trete man aus der Kirche aus, wobei in den letzten Jahren auch bei älteren Menschen die Austritte zugenommen hätten. Hauptgrund für die Kündigung der Kirchenmitgliedschaft sei laut der Kirchenaustrittsforschung der letzten Jahre die Irrelevanz von Kirche und Glaube: Beides spiele für die Menschen in unserer Gesellschaft kaum mehr eine Rolle.
Eine Entspannung in Sicht?
„Positiv ist anzumerken, dass die Zahlen der Austritte für die katholische Kirche im Jahr 2023 tatsächlich leicht rückläufig sind“, sagt Nefiodow. Dies zeigten relativ sichere Prognosen. Dennoch deute nichts darauf hin, dass sich die Lage wieder entspanne. „Die Zahlen bleiben hoch.“
Wichtige Unterscheidungen
Wichtig zu unterscheiden sei laut Ruth Nefiodow zwischen der Mehrheit der Ausgetretenen, die der Kirche den Rücken kehrten, weil ihnen generell der Bezug dazu fehle. Solche Menschen seien schwer zu erreichen. Demgegenüber stünden aber Personen, für die der Austritt mit Schmerz oder Ärger verbunden sei. Diese seien zwar wenige, aber sie seien noch erreichbar. „Menschen, die aus Gründen persönlicher Enttäuschung oder Gewissenskonflikten aus der Kirche austreten, sich aber eigentlich noch stark mit ihr verbunden sehen und im Glauben verwurzelt bleiben wollen, sind es, auf die wir in unserer Pastoral den Blick richten müssen“, so Nefiodow. Hier bestehe oftmals ein hohes Maß an Gesprächsbedarf und es sei an den Gemeinden, diese Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.
Dabei käme es vor allem darauf an, sensibel mit den gläubigen Austrittswilligen und Ausgetretenen umzugehen, sie nicht zu verurteilen und ihnen vorzubeten, auf welche Rechte sie von jetzt ab verzichten müssten. Vielmehr müsse man auf die individuellen Austrittsgründe schauen, Verständnis für ihre Entscheidung aufbringen und gemeinsam im Dialog mit ihnen schauen, wie man der Entfremdung entgegenwirken kann. „Ein solcher Prozess der Entfremdung dauert meist länger an. Die Entscheidung zum Austritt erfolgt selten von heute auf morgen.“
Sensibler Umgang mit Austrittswilligen
Umso wichtiger sei es, sensibel mit den Betroffenen umzugehen, indem man eine neue Willkommenskultur etabliere. „Unser Motto: Die Tür offen halten möchte die Menschen erreichen, die mit ihrer Entscheidung ringen“, sagt Nefiodow. Die Kirche solle von den Menschen auf keinen Fall als Verein mit strengen Regeln gesehen werden, bei dem man nur dabei sein darf, wenn man Kirchensteuern zahlt, sondern als offene Kirche Jesu Christi. Theologisch gesehen gehörten alle Getauften zur Kirche. Menschen, die getauft sind und weiterhin ihren Glauben behalten, müsse trotz Kirchenaustritts die Tür offen gehalten werden, anstatt ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Dann, so die Ansprechpartnerin aus dem Labor E, könne man mit den Ausgetretenen und Austrittswilligen auch Frucht bringend in den Dialog treten.
Mehr Infos zur Arbeit des Labor E
Ein Beitrag von: Anna Petri, freie Mitarbeiterin
Erzbischöfliches Generalvikariat, Abteilung Kommunikation, Team Redaktion